Man trifft hier und da auf oberflächliche Sprüche und Mems, die gerne aufgeschnappt und weiterverbreitet werden. Die Pseudoweisheiten klingen oft ziemlich cool, doch selten steckt dahinter etwas Durchdachtes. So ist es mit dem Spruch über die Erwartungen. Dem bin ich schon so oft begegnet, auch in Gesprächen mit Freunden, dass ich einfach nicht lassen konnte mich dazu nicht zu äußern.
Erwartungen begünstigen die Enttäuschungen. Befrei dich von Erwartungen und dann bist du frei von Enttäuschungen. Du bist enttäuscht? Weil du die falschen Erwartungen hattest. And so on. Ich bitte?? Lasst uns über Erwartungen sprechen.
Zunächst gibt es drei Möglichkeiten. Die Erwartungen an sich selbst, an den Anderen und die Erwartungen von den Anderen an uns. All diese sind essentiell um sich etwas einzuordnen und orientieren zu können.
Nehmen wir zunächst die Erwartungen an uns selbst. Es ist ganz normal diese zu haben, wenn nicht sogar notwendig. Ja, sie können zu einem Perfektionsdruck führen, doch sie helfen uns auch unsere Ziele zu erreichen. Sie helfen uns sogar über die eigenen Pläne im Klaren zu sein. Außerdem helfen sie uns bei der Selbstentwicklung.
In Yoga gibt es einige „Richtlinien“ des Verhaltens. Unter anderem sollte man Santosha (sanksrit: Zufriedenheit) ausüben. Was nicht bedeutet, man setze sich hin und nehme alles bedingungslos an. Es geht darum, auf dem Weg zur Entwicklung, beim Bestreben zum Höheren eine gleichmütige Haltung einzunehmen. Aus gegenwärtiger Zufriedenheit zu handeln, jedoch nicht erwartungsfrei.
Ist es überhaupt möglich erwartungsfrei zu sein? Natürlich nicht. Wir ordnen den Menschen immer wieder bestimmte Rollen zu. Diese sind eng an unsere Erwartungen an sie gebunden. Man erwartet von Eltern was ganz anderes als von Lehrern. Man möchte auch davon ausgehen sicher im öffentlichen Leben sich bewegen zu können, weil man eine adäquate Verhaltensweise der Mitmenschen erwartet. Man erwartet, dass es um 2 Uhr nachts draußen dunkel ist und in Sibirien kalt ist. Man erwartet, dass man von einem Kellner bedient wird und dass das Essen frisch und hygienisch serviert wird. Die Beispiele sind endlos. Wir sind voll mit Erwartungen und nicht alle davon werden erfüllt, was jedoch die Anwesenheit dieser Erwartungen nicht verkehrt machen lässt.
Man möchte Enttäuschungen vermeiden und daher glaubt man ohne Erwartungen dies tun zu können. Also worum geht es eigentlich? Um die vermeintliche Kontrolle. Sehr große Illusion der Kontrolle. Die Fähigkeit sich davon befreien zu können und die Gefühle auszuhalten, wie zum Beispiel ein Gefühl der Enttäuschung, stärkt enorm und fördert die Verbindung zu sich selbst. Während das Bestreben jegliche Erwartungen zu unterdrücken im besten Fall nur zu psychosomatischen Problemen führen wird. Außerdem haben einige Probleme damit eigene Bedürfnisse zu erkennen und diese zu kommunizieren, also sucht man sich vermeintlich den leichteren Weg aus, erwartungsfrei zu werden. Ich hätte gerne so einen Menschen persönlich getroffen.
Dann gibt es noch die Erwartungen von Anderen an uns. Oh man, was würde man nur tun, um diese zu meiden?!? Zum Beispiel würde man sagen: „Befrei dich von deinen Erwartungen, damit du später nicht enttäuscht sein wirst.“ Ich übersetze: „Ich fürchte mich deinen Erwartungen nicht gerecht zu werden und möchte keine Verantwortung dafür übernehmen, wenn ich dich mit meinem Verhalten enttäuschen werde.“ Auch hier lebt man die Illusion etwas unter Kontrolle haben zu können. So ist es leider nicht. Man wird vermutlich mit den Gefühlen des Anderen schwer zu Recht kommen, sowie auch mit eigenen. Es gibt zwei negative Szenarien. Entweder wird man sich zu sehr anstrengen um Erwartungen des Anderen gerecht zu werden, dann verliert man aber sein wahres Ich. Oder man wird sie vollkommen ignorieren, wodurch der Andere abgestoßen wird. Es gibt jedoch ein Mittelweg mittels der Kommunikation. So einfach ist es! Warum nicht die Erwartungen voneinander zu kommunizieren? Im Grunde sind es gleichzeitig die Bedürfnisse bzw. Wünsche und es ist vollkommen in Ordnung diese zu erörtern.
Die Illusion der Kontrolle, Hand in Hand mit Ängsten und der unüberlegte (manchmal auch unehrliche) Umgang führen zum Glauben, dass Erwartungen zu Enttäuschungen führen. Letzt endlich ist die Enttäuschung gleich mit Klarheit zu setzen. Man befreit sich von der Täuschung und das sollte man aushalten können.
Liebe Viktoria,
toller Artikel!
Ich habe kürzlich auch über die eigenen sowie die Erwartungen anderer nachgedacht.
Ich stimme dir zu, dass Kommunikation der Schlüssel ist. Darüber hinaus glaube ich, dass zusätzlich die Fähigkeit die Welt des anderen verstehen zu wollen und sie zu akzeptieren essentiell ist. Denn dann sind wir in der Fülle und handeln aus Liebe.
Liebe Grüße,
Louisa